Zur Einfahrt in die Eifel: eine Geburtstagsreise


Sonnabend, der 24. Juni 1989
| Großer Bahnhof im Automobilwerk Sindelfingen. Die Daimler-Benz AG kann einen Meilenstern feiern, den Marktbeobachter seit Erscheinen des neuen Zwölfzylinder-Flaggschiffs aus München kaum mehr erwartet hätten. Nicht nur Prof. Dr. Werner Niefer, Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Mercedes-Benz Aktiengesellschaft, hat sichtlich gut Lachen, verkauft sich doch die „Neue S-Klasse“ noch in ihrem zehnten Produktionsjahr unvermindert stark und sogar deutlich besser als die Konkurrenz. Auch sein alter Freund, der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar „Cleverle“ Späth, ist stolz auf das Geleistete in seinem Ländle. Einem Pressevertreter des Herrenfahrer-Magazins „Fünfkommasechs“ bietet er lachend eine Wette an: „Eher wird einer von den Grünen Minischterpräsident von Baden-Württemberg, bevor ein Bayer den Auto-Olymp besteigt!“

Dr. Johannes S., ehemals Junior-Geschäftsführer der NUKEM Hanau, nimmt von Prof. Dr. Werner Niefer das nautikblaue Jubiläumsfahrzeug entgegen. Im Hintergrund rechts der „Meischter“

Späth hat allen Grund zur Zuversicht. Insgesamt werden seit Einführung der Baureihe 126 vor 10 Jahren (1979) bis Ende des Jahres deutlich über 700.000 Limousinen und Coupés der S-Klasse das Werk Sindelfingen verlassen haben. Bereits jetzt ist diese Modellgeneration das weltweit erfolgreichste Oberklasse-Automobil aller Zeiten.

Zum Jubiläum reist sogar Bundeskanzler Kohl im bewährten 500 SEL Werkspanzer an, um der feierlichen Übergabe der fünfzigtausendsten Limousine des Typs 560 SEL persönlich beizuwohnen, einer modernisierten und leistungsgesteigerten Zivilversion seines eigenen Dienstfahrzeugs mit einem durchaus gerechtfertigten Grundpreis von rund 133.000 DM.

„Schaun Sie, Herr Lueg, die Menschen draußen im Lande verstehen das eher als sie. Mein Freund Franz Mitterand und ich bauen ein gemeinsames Haus Europa, ob’s ihnen paßt oder net! Bald werden auch die Deutschen von Drüben darin leben. In blühenden Landschaften und mit Autos wie diesem in der Garage! Und jetzt sei’nse so freundlich…“, so Kohl im Vorbeigehen einem Team der ARD gegenüber.

Zeitsprung ins Jahr 2011. „Drüben“ ist Geschichte, Kohls „Haus Europa“ ist fertig, kämpft aber mit Statikproblemen, auch Ossis horten S-Klassen in ihren Garagen, die ostdeutsche Kanzlerin (!) fährt derweil Audi, BMW spielt in der Luxusklasse nur dritte Geige, dafür ein Grüner im Ländle seit kurzem die erste. Wer hätte all das im Juni 1989 prognostizieren können, ohne direkt medikamentös neu eingestellt zu werden?

Bezweifelt hätte aber niemand, daß WDB1260391A488599 mindestens seinen 22. Geburtstag erleben und auch im Juni 2011 noch nicht zum Altmetall gehören würde. Kein Wunder: die Schrempp-Jahre waren ja noch nicht angebrochen und Daimler gegen Ende der Achtziger Jahre auf dem Höhepunkt seines Nimbus angelangt. Ein Mercedes ist schließlich für die Ewigkeit gebaut, so hieß es damals.

Die unverblümte Realität aber ist: hätte nicht jemand verrücktes wie ich ihn gekauft, wäre er längst zerlegt, verwertet und sein unbrauchbarer Rest verschrottet worden, so bitter das sein mag.

Zweifel aber hatte auch ich keine, als ich den 560er – wenn schon nicht von Herrn Niefer in Sindelfingen, so doch immerhin aus formell erster Hand vom Gebrauchtwagenhändler – „wie neu“ übernahm, unbelastet von jeder seriösen Vorkenntnis über dieses Modell. Mehr als fünf Jahre ist das jetzt her, und die Zahl 50.000 spielt dabei eine wichtige Rolle, wenn auch in anderem Zusammenhang als im imaginierten Jubiläumsfoto oben.

Ziemlich genau 50.000 Kilometer sind’s nämlich, die ich mit dem blauen Wal jetzt zurückgelegt habe. Ich rate Euch: bloß nie sowas aufrechnen, denn dann wird plötzlich klar, daß ich die gleiche Distanz mit dem Taxi im Stadtverkehr hätte zurücklegen können und dann heute sogar noch Geld übrig hätte im Vergleich zu dem, was der Wagen auf dieser Strecke an Zuwendungen in Form von Teilen, Werkstattstunden und laufenden Kosten verschlungen hat. Trotzdem: ein 560er ist besser als eine Griechenland-Anleihe, denn es ist ja ein Wert hinterlegt. Besser als Taxifahren ist er sowieso, das steht ja ganz außer Frage.
Klar ist auch: mit weniger Anspruch an Perfektion, vor allem besserer Grundsubstanz beim Kauf und vielleicht insgesamt mehr Eigenleistung wäre wohl weniger Geldaufwendung nötig gewesen.

Die Grundsubstanz ist aber nunmal so wie sie ist, mein Anspruch folgt treu dem Motto „Das Beste oder Nichts“, also können wir nur bei der Eigenleistung ansetzen. Das Dumme dabei ist: viel mehr als selbst Waschen und Tanken konnte ich bislang nicht. Die Eigenleistung, die ich also erbringen kann, würde weniger zum Besten als vielmehr zum Nichts tendieren. Doch wozu hat man Freunde wie die wandelnde Mercedes-Enzyklopädie und Meisterwerkstatt Marc Christiansen? :-)

Wenige Stunden vorm Jahrestag gab es für den Fünfkommasechser an Frohenleichnam neue Radlager, Bremsscheiben und -beläge, sowie neue Geber für die Bremsbelagverschleißanzeige vorne. Herr Christiansen wird darüber an dieser Stelle noch berichten.

Und Herr Prof. Dr.-Ing. E.h. Dr.rer.pol.h.c. Werner Niefer? Der lebt schon lange nicht mehr und hat sich wenige Monate nach seinem Ausscheiden beim Daimler einfach davon gemacht. Doch von seiner Coupé-Sitzanlage auf Wolke 140 wird er es heute sicher gerne sehen, daß in seinem einstigen Spitzenmodell, dem (vielleicht wirklich!) 50.000sten 560 SEL, auch weiterhin mit unsichtbarer neuer Technik experimentiert wird, und wenn es nur gelochte Bremsscheiben sind.

Gelochte Zimmermann-Bremsscheiben auf der Vorderachse. Ein kleiner Einbaubericht folgt.

Niefer trug ja selbst gern den Pelz nach innen: seine 126er-Vorstandslimousine war eine von wenigen Testfahrzeugen mit Zwölfzylinder-Motor auf Basis zweier M103-Reihensechszylinder, die von Kurt Obländers Team zu einem V-Motor mit fünfkommazwei Litern Hubraum zusammengefügt worden waren. In Daimler-Nomenklatur war Niefers Dienstwagen sozusagen ein 300 SEL 5,2. Aber das nur nebenbei…

Der 500 SEL 5,6 und Namensgeber dieser Website jedenfalls hat dafür komplett revidierte Zylinderköpfe von H+S vorzuweisen, eine generalüberholte Einspritzanlage und neues Zündgeschirr von Dreikommanull, und durfte zum Jubiläum seines Auslieferungsdatums am 24. Juni mit mir einen Ausflug in die Eifel zu Gerold „Sechskommaneun“ Saxler unternehmen. Ideal, um auf rund 500 Kilometern hin und zurück behutsam die neuen Bremsscheiben einzufahren.

Außerdem: Reisen bildet! Mir war vorher nicht bewußt, daß nur etwa 150 Kilometer westlich meiner Heimat kein Deutsch mehr gesprochen wird. Böse Zungen sagen dasselbe über die Hanauer Innenstadt, aber was man als Hesse an der Raststätte Elztal an fremdem Dialekt zu hören bekommt, ist wahrhaft exotisch klingonisch.


Wenige Kilometer hinter dieser Sprachbarriere endet auch schon die Autobahn abrupt, dann die Bundesstraße und erst wenn man es schließlich auf einer einspurigen Landstraße unfallfrei durch ein hautenges Viadukt und die Serpentinen dahinter geschafft hat, öffnet sich dem Ankömmling ein malerisches kleines Tal mit einem schnuckeligen Dörflein darin, in dem sicher irgendwo Dietmar Schäffer seinen Dienst verrichtet.

Dort, gleich gegenüber dem Kirchturm, gibt es eine kleine KFZ-Werkstatt, in der sich Herr Dreikommanull und Herr Sechskommaneun bei meiner Ankunft schon an Marcs 300er zu schaffen machten. Was genau, erfahrt ihr von Herrn Christiansen höchstselbst.

Mein Besuch dort war ja ohnehin eher touristischer Natur. Ein Geburtstagsausflug mit dem Fünfkommasechser in die rheinlandpfälzische Wildnis, auf daß er seine neuen Disks und Beläge kennenlernen könne und bei einer Rast in der Eifel vor seinen kleineren Geschwistern 500 SE und 300 SE damit angeben können würde.

Für uns Herrchen gab es nach Abschluß der Arbeiten an Marcs Dreiliterwagen auch eine kleine Führung durch Gerolds alte Heimat. Das kleine Dorf in der Vulkaneifel ist scheinbar voller Mercedes-Verrückter, wie sich herausstellte.

Mit palastartigen Häusern, die allesamt um die teils mehr-etagigen Garagen erbaut wurden (nicht umgekehrt). Und kaum jemand kann hier ohne einen Unimog oder wenigstens G-Wagen im Fuhrpark auskommen. Angesichts der Höhenlage der Vulkaneifel und des neuerdings schnee- und frostreich voranschreitenden Klimawandels ist dies auch nicht weiter verwunderlich.

Das Geblüt der Saxlers, Hubraum-Aristokraten par excellence, betreibt am Ort einen Familienbetrieb, der praktischerweise genügend Unterstellmöglichkeiten für die tonnenschweren Pretiosen des Filius bietet, während dieser seinen Lebensmittelpunkt derweil in die Großstadt verlegt hat. Und da sind derartige Plätze rar und teuer.

Aus meiner eigenen Kindheit auf dem Lande weiß ich, dass die kleinsten Dörfer die dicksten Hintern beherbergen. Als Gerold eine seiner Garagen öffnete, war ich direkt wieder Kind.

Der Anblick des Hinterteils eines ausgewachsenen 116ers ist schon majestätisch und auf Fotos nur schlecht wiederzugeben.
Statt Reiterhosen trägt er bullige Doppelchromstoßstangen. Und das respekteinflößende „6.9“ in Verbindung mit dem Kundenwunsch „Klarglasscheiben“ treibt den Anblick fast schon ins Groteske. Optisch und wohl auch technisch steht der Wagen da wie kaum ein Jahreswagen sonst, und hätte Gerold gesagt, daß er nur 30 oder noch weniger große Scheine dafür hat hinlegen brauchen, hätte ich ihm unter Tränen zu diesem Schnäppchen gratuliert. Seit er mir vertraulich den wahren Kaufpreis genannt hat, ist mir nichtmal mehr zum Weinen zumute.
Wäre meine eigene, unterm Strich teurere Diva in jenem Moment nicht so weit weg entfernt geparkt gewesen, sie hätte gerne eifersüchtig werden und um ihre weitere Daseinsberechtigung bangen dürfen.

Wir ließen den Star der Siebziger ehrfürchtig weiterschlafen und schauten uns als nächstes die Luxusyacht der anbrechenden Neunziger an. In einem Schuppen nur wenige Schritte entfernt vom Sechsneuner schlummert das liebevoll als solches bezeichnete Leberwurst-Coupé, der borntifarbene 500 SEC.

Dort am Waldesrand ruht er sich bis zu seiner Restauration aus und lauscht wohl dem Plätschern des nahen Bachlaufs und dem Singsang der Waldvögel. Doch das wird plötzlich jäh von einem Knirschen unterbrochen, welches jedem Youngtimerfan durch Mark und Bein gehen muß. Gerold langt mit den Fingern in den neuralgischen Hohlraum unter der Hutablage und sofort regnet es braunes Pulver in den Kofferraum des Coupés.

Hier hilft nur noch Schweiß(en). Man darf jedoch sicher sein: am Ende wird der Wagen wieder wie neu dastehen. Ist ja schließlich nicht Gerolds erste Vollrestauration. Desweiteren steht fest: der 500 SEC bleibt leberwurstfarben! Schade, ich hätte gerne etwas abgefahrenes wie pueblobeige daran gesehen… aber bornit metallic ist am Coupé eben auch was besonderes!

Ein weiterer Luxussportwagen mit Stern befindet sich in den beinahe schon zum wohnlichen Souterrain ausgebauten Garage von Gerolds Onkel. Der Herr fährt sonst eher Allrad (G-Wagen und Unimog – früher auch Suzuki LJ und SJ), was man halt so braucht in der Eifel. Der SL 600 der Baureihe 129 mit hydropneumatsicher Niveauregelung ist da schon eher was für die unweit gelegene Rennstrecke.

Bei einer Runde eiskaltem Hopfenblütentee aus der Region dürfen wir den schlummernden M120 Zwölfender bestaunen – und die vielen Kleinode dieses privaten Automuseums, die wohl überall im Hause liebevoll drapiert sind. Der nach Gerolds Angaben wohl perfekteste 924er Porsche, leider nur noch als Wandbild-Ensemble zu sehen, oder der alte GFK-Wohnanhänger, der in seiner vollen Pracht in einen Nebenraum paßt. Einfach herrlich!

Die Abendsonne scheint in die Wohngarage hinter den runden Holztoren. Es duftet nach Holz und Motoröl. Hier läßt’s sich aushalten!
Der Freitagabend schreitet dennoch unerbittlich voran und wir müssen langsam wieder an die Heimreise denken. Natürlich in aller Ruhe und nicht ohne noch die wunderbare Landschaft in den letzten Sonnenstrahlen zu genießen – bei offenem Schiebedach und kaum hörbar dezentem V8-Sound von vorne. Schade, dass ich kein Handy-Video davon gemacht habe.

Die Google-Navigation meines Schlautelefons mußte mich schließlich lotsen und führte mich wohl absichtlich durch Schumis Heimatort. Die darauf anschließende, wunderbar kurvige Strecke gleich hinter Kerpen kam wie so manche Straße in der Gegend ohne mittlere Fahrbahnmarkierung aus und wäre der ideale Spielplatz für mein ehemaliges Beiboot gewesen. Der 560er mit seinen neuen Vorderachsradlagern fühlte sich hier auch pudelwohl.

Einige Kilometer und Kehren weiter gab es dann nichtmal mehr Handyempfang und bald offenbar auch kein GPS-Signal mehr. Bei Sonnenuntergang durchfuhr ich einen namenlosen, menschenleeren Ort, der offensichtlich so weit ab vom Schuß war, daß an dessen Ortsausgangsschild nicht das nächste Dorf, sondern die Bundestraße 410 angekündigt wurde. Immerhin waren wir richtig, der Fünfkommasechser und ich!

Es war der Tag vor dem großen 24h-Rennwochenende auf dem Nürburgring. Auf Höhe der Autobahnausfahrt Ulmen fuhr ich extra etwas langsamer und lauschte. Tatsächlich ließ sich aus der Ferne Motorenheulen vernehmen. Vielleicht war es auch nur in meiner durch Gran Turismo verdorbenen Phantasie.
Die restliche Strecke ging sehr gemächlich voran, um keine für die noch neuen Bremsen vorne brenzligen Situationen zu provozieren. Erst ganz zum Schluß – es war schon lange dunkel – ritt uns nochmal der Teufel.

Die einspurige Auffahrt zur Schnellstraße nahe der Heimat vor uns, den Feind in Gestalt eines F10 im Rückspiegel, der uns in typischem BMW-Gehabe so dicht auffährt, daß ich Angst um unsere neu lackierten Auspuffspitzen haben mußte. Kaum wird die Strecke zweispurig, schiebt sich der BMW schon fast nicht mehr berührungsfrei an der hinteren Stoßstankenkante vorbei längsseits, da geht plötzlich ein unbewußtes Zucken durch mein rechtes Bein, es folgt fast zeitgleich ein Ruck im Getriebe und dann kann man alle acht Zylinder samt Saugbrücke deutlich bei der Arbeit hören. Wie ein Unbeteiligter beobachte ich fasziniert, warum Hubraum eben doch durch nichts zu ersetzen ist – außer durch noch mehr Hubraum. Der vermeintliche 525d muß sich beim Zwischensprint von 100 aufwärts gegen das Untertürkheimer Flaggschiff geschlagen geben. Seine traurig flimmernden „Angel Eyes“ werden im Außenspiegel langsam wieder kleiner. Die bayrische Mittelklasse wechselt sogar wieder auf die rechte Spur und macht keine Anstalten, noch hinterherkommen zu wollen.

Der perfekte Ausklang eines schönen Tages für den nautikblauen Jubiliar. Später in seiner Garage würde er sich noch lange darüber freuen können. Zurück vom Nürburgring (quasi!) und mit neuen Sportbremsen hat er es im Sprint sogar nochmal dem neumodischen Fünfer so richtig gezeigt!

Ein wunderbarer Geburtstag für den Elder Gentleman aus Sindelfingen, den vielleicht 50,000sten seines Typs, der beinahe vom Mercedes-Chef persönlich im Beisein des Bundeskanzlers und des Minischterpräsidenten an mich feierlich übergeben worden war – am vergangenen Freitag vor genau 22 Jahren und fast 250.000 Kilometern.

An der Ampelkreuzung zieht der BMW auf der Linksabbiegerspur dann doch noch langsam an uns vorbei. Ich kann flüchtig die Zahl 550 auf der Kofferraumklappe lesen… Chapeau! Es gibt sie halt doch, die BMW-Fahrer mit Taktgefühl.

Fotos: ©fuenfkommasechs.de

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