Samstagmittag in Klein-Germersheim

Daß man während der Schönwettersaison mehr verhätschelte Daimler auf den Straßen sieht als Liebhaberfahrzeuge irgend einer anderen Marke hat viele gute Gründe. Einerseits macht ein Pagoden-SL zweifelsfrei einen schlankeren Fuß als ein Ford Bronco. Andererseits werden hochpreisigere Autos aus Stuttgart artgerechter behandelt als beispielsweise die produktionsbedingt überzähligen Brot- und Butter-Modelle aus Wolfsburg. So werden – mit Ausnahme vieleicht des Käfers, des kultigen Bullis oder eines Golf-Cabrio von Sascha Hehn – am Ende ihrer aktiven Dienstjahre deutlich weniger Exemplare überleben. Ein Volks-Wagen war zeitlebens eben nicht wirklich ein Traumwagen – und das ist rückblickend schade.

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Duckt sich angesichts der autoritären Gegenwart vieler Stuttgarter schüchtern in die Hecke: der selten gewordene T2-Bulli mit schüchternem Blick unter orangefarbenen Augenbrauen. Als Fahrer eines Wolfsburger Klassikers muß man schon ein harter Hund sein:
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Originäre Mercedes-Tugenden wie Mythos, Mehrwert und eingebaute Vorfahrt sind aber auch keine Garantie für ein ewiges Autoleben. Nicht weitersagen, aber der Zahn der Zeit nagt eben auch am heiligen Blechle, und das nicht zu knapp! So entscheidet am Ende die profane Frage nach der Verfügbarkeit von Ersatzteilen darüber, ob und wie lange wir einen Klassiker als solchen auf der Straße bewundern können.

TechWax_Mai2011_007Weil gerade die Oldies in bestem Erhaltungszustand exzellente Werbeträger ihres traditionsbewußten Herstellers sein können, hilft „der Daimler“ den Enthusiasten seit jeher vorbildlich bei der Erhaltung ihrer Pretiosen. So ist die Legende von der sagenhaften Langlebigkeit eines Mercedes heute ein zentraler Pfeiler des Konzernmarketings – allen Unkenrufen zum Trotz. Gleichzeitig ist der „After Market“, der das immer beliebter werdende Hobby „Youngtimer“ überhaupt erst ermöglicht, eben auch ein Wachstumsmarkt, auf dem sich Preise freizügiger bestimmen lassen als im hart umkämpften Neuwagengeschäft.

Auch hier will man in Stuttgart offensichtlich den Ton angeben. Bei wohl keinem anderen Autohersteller der Welt ist es möglich, für ein Fahrzeug mit einem halben Jahrhundert und mehr auf dem Scheckheft in jeder beliebigen Vertretung auf dem Globus ein Ersatzteil zu bestellen, und es oft schon binnen 24 Stunden dort originalverpackt in Empfang zu nehmen. Das betrifft wenigstens alle zum Fahrbetrieb zwingend erforderlichen Ersatzteile, aber eben oft auch teils exotisches Ausstattungs-Zubehör. Und dies zu einem angemessenen Preis, wenigstens für den Hersteller.

Ist etwas „NML“ (nicht mehr lieferbar), wird es zunächst innerhalb des Händlernetzes und/oder als Gebrauchtteil abgefragt. Falls auch das nicht mehr möglich ist, wird es bei fortbestehender Nachfrage wieder neu aufgelegt – vorausgesetzt die Stückzahl steht in gesundem Verhältnis zum Fertigungsaufwand. Die logistische Leistung dahinter ist enorm, und ihr zentrales Herzstück ist heute das GLC (Global Logistics Center) im südpfälzischen Germersheim.

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Das gigantische Mercedes-Ersatzteile-Paradies liegt in strategisch bester Lage auf einer Halbinsel im Altrhein | Foto: Daimler AG

Und wenn aber auch das große GLC in Germersheim nicht mehr helfen kann? Dann lohnt sich auf jeden Fall die Anfrage in Klein-Germersheim. Etwa auf halber Strecke zwischen Hanau und Darmstadt, im Gewerbegebiet von Rödermark-Urberach, befinden sich die heiligen Hallen von Oli Stork. Der geneigte Leser erinnert sich vielleicht an den Bericht zum Saisonausklang im letzten Jahr.

In Germersheim dient der Rhein als natürlicher Burggraben. Olis Teilecenter ist umringt vom Kreis Offenbach, der es ungebetenen Gästen wohl verleiden soll, bis ins heilige Urberach vorzudringen. Wer aber mutig ist und sich mit vorausschauender Fahrweise und verriegelten Türen heil bis dorthin durchgekämpft hat, wird reichlich belohnt. So konnte ich am Samstag (noch schlotternd von vielen schreckhaften Begegnungen mit den automobilen Pflegefällen der Region) ein traumhaft schönes Ersatzteil für die Innenausstattung meines 560ers abholen, das Oli für mich zurückgelegt hatte – und wie immer viele schräge Anekdoten hören.

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Zweitserien-Topmodell 560 SEL trifft auf Erstserien-Topmodell 500 SEL, beide nautikblau und mit hydropneumatischer Federung

Fast alle Leckerbissen dort stammen aus hauseigener Schlachtung – und das Schlachtvieh draußen auf dem Hof ist garantiert „bio“, wie man oft schon am Geruch manch eines Innenraums feststellen kann. Eher sakral und typisch für alte Mercedes riecht diese exotische Velours-Ausstattung eines frisch eingetroffenen 126er-Rechtslenkers aus artgerechter Bodenhaltung.

Rollobox__007Sorry, lieber Willi, der Wagen ist wohl schon vergeben.

Das gleiche in kotzgrün für einen 116er? In Klein-Germersheim ist’s dahin nur ein kleiner Fußweg:

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Innen grün, außen braun sind eben unerläßliche Tarnfarben für jeden Sportangler auf der Pirsch.

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Andere Fahrzeuge werden von ihren Besitzern einfach aufgegeben oder fluchtartig hinterlassen, bis Oli sich ihrer annimmt und dann so manches an persönlichen Hinterlassenschaften darin vorfindet:

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500er-S-Klasse der Baureihe 126 mit Sonderausstattung „blaue Ablage im Fond für Behördenkorrespondenz und Mahnbescheide“

Gleichsam als Antwort auf die vielen Mahnungen per Einschreiben klebt der feine Herr sich „V8“ an die vorderen Kotflügel. Da kamen nicht nur dem Gerichtsvollzieher die Tränen!

Mir erging es so angesichts der tiefen Augenhöhlen dieses W116. Doch so etwas sollte niemanden traurig stimmen, denn durch Organspende macht es die einst stolze S-Klasse erst möglich, daß einige ihrer Artgenossen überhaupt wieder gesund weiterleben können – und sie selbst dadurch in gewisser Weise auch.

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Nachhaltigkeit dank Resteverwertung. Der 124er links daneben hat eine ganz besondere Ausstattung im Kofferraum. Weil Opi sich – nebst güldener Gullideckelfelgen – einen Agrarhaken hat nachrüsten lassen, hat Omi ihm für die dafür verbauten Haltestreben in den beiden Kofferraummulden schicke Strümpfe gehäkelt – in Ausstattungsfarbe!

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Hierbei sei noch seitens meiner Handarbeitsexpertin erwähnt: nach der aufwendigen Suche nach farblich passender Wolle muß auch der Abschluß der Häkelarbeit nicht eben einfach gewesen sein. Omi hat möglicherweise noch im Kofferraum liegend die Dinger fertig gehäkelt oder genäht, damit die Lappen überhaupt zum Wollstrumpf werden konnten und als solche die beidseitigen Haltestreben umschließen. Das muß Liebe sein!

Von noch mehr Kunstfertigkeit zeugt diese Skulptur, die eine ältere Dame mit Hilfe ihres C124 und eines zufällig dafür ausgewählten Laternenmastes in Frankfurt gezaubert hat:

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Tja, Sachen gibt’s! Und Oli könnte nach eigener Aussage inzwischen wohl Bücher damit füllen, denn zu fast jedem Schlachtfahrzeug hat er eine Geschichte.

Warum aber war ich eigentlich gekommen? Ach ja, das neue Wurzelnuß-Rollo für meine Ablagebox auf dem Getriebetunnel. Auch damit ist eine Geschichte verbunden, die hier ihren Anfang nahm.

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Ein Ersatzteil, das bislang mit mondänen 195 Euro gelistet wurde, und dank chinesischer Handarbeit wohl auch ein Viertel davon tatsächlich wert war, stand nunmehr mit schlanken 13 Euro im EPC („Electronic Parts Catalogue“). Kommafehler oder buchhalterisches Manöver? Sollte die komplette Marge nagelneuer Nachfertigungen in großer Stückzahl kostengünstig zum Classic Center transferiert werden oder hatte der Daimler zu seinem 125. Geburtstag die Spendierhosen an? Wir wissen es nicht, freuen uns aber über diesen vermeintlichen Lapsus, der leider auch nur kurzen Bestand hatte. Bald hieß es wieder lapidar „NML“, aber viele 126er-Enthusiasten haben rechtzeitig zugeschlagen, und natürlich auch freiberufliche Teileonkel wie Oli Stork, so lange es eben ging.

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Mit Vergleichsfotos wie diesem läßt sich übrigens ein sehr rätselhaftes Phänomen erklären, nämlich wieso die To-Do-List eines Youngtimers im Laufe der Jahre nicht kürzer, sondern eher länger wird. Das Bessere ist des Guten Feind, deshalb muß ein durchaus noch ansehnliches Wurzelnuß-Rollo einem Fabrikneuen weichen – und findet seinen Platz vorerst als Zierteil an der Garagenwand.

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Ähnliches auch bei einem Teil, das zum Zeitpunkt des Gebrauchtkaufs meines 560ers für 17 lange Jahre das wohl meistbenutzte am ganzen Fahrzeug war: dem Ascher. Außer einer leichten Delle und einem Kratzer weist der alte Ascher (links) keine nennenswerten Blessuren auf. Aber auch hier ist das bessere Gebrauchtteil von H+S (rechts) eben der Feind es verbauten Guten. Also weg damit!

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Und da wir gerade beim Thema sind: die S-Klasse besitzt tatsächlich keine Zigarettenanzünder, sondern laut Ausstattungsverzeichnis nur Zigarrenanzünder (links). Natürlich auch im Fond und zudem beleuchtet. Das realisierte ich überhaupt erst, als ich den Ascher vorne ausgebaut hatte und der Kabelstrang zum Vorschein kam. Da hing auch ein kleines Birnchen dran, über dessen Existenz ich mir gar nicht mehr bewußt war. Wie auch, denn es brannte schon lange nicht mehr: ein Drahtkontakt hatte sich nämlich gelöst.

Hervorragend sowas! Denn diese kleinen, lösbaren (!) Aufgaben sind es, an denen auch der untalentierteste Hobbyschrauber sein Mütchen kühlen kann. Einfache Diagnose, minimaler Arbeitsaufwand, aber schöner Effekt und dadurch ein wunderbares Erfolgserlebnis.

In Windeseile brachte ich meinen bislang so gut wie gar nicht benutzten Lötkolben samt ebensowenig benutzter Verlängerungsschnur in Stellung, deckte den Bereich um die Mittelkonsole mit einem (immerhin schon oft benutzten) Handtuch ab und schritt zur Tat.

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Wahrscheinlich hatte ich dabei mehr Lötzinn eingeatmet als auf den Kontakt aufgebracht, aber am Ende hielt es doch! Saubere Arbeit, zumindest für jemanden, der das Löten bislang nur aus Internet-Tutorials in der Theorie kennt. Ich bin ja so stolz!

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Tja, und die Rollobox selbst war zuvor auch keine große Herausforderung für so einen echten Vollprofi wie mich ;-) Das Ablagefach hat im Inneren zwei Schrauben. Nach Entfernung derselben läßt sich die Box kinderleicht nach vorne vom Getriebetunnel abheben. Dann muß nur noch das Schloß demontiert werden (4 Schrauben), und man kann das alte Rollo aus der Schiene herausziehen.

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Das neue Wurzelnuß-Rollo einzufädeln ist etwas hakelig und es verkeilt sich natürlich oft. Hier half mir ein wenig original MB-Gleitpaste und viel Geduld :-)

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Das Neuteil ist übrigens geringfügig „gemopft“ (von MoPf = Modellpflege). Mein 1989er Originalteil hat den Entriegelungsknopf an der vorderen Stirnseite. Das neue Rollo trägt ihn oben. Nun reicht mein Originalitäts-Fanatsismus dann aber doch nicht soweit, als daß ich daran Anstoß nähme. Es sind aber durchaus Fragen, die uns Enthusiasten hin und wieder in den Foren beschäftigen: wann wurde welches Teil wie verbaut? Dabei zeigt sich, daß die 12jährige Bauzeit des 126ers längst nicht nur in zwei große Serien unterteilt ist, sondern stetig verändert und weiterentwickelt wurde. Heute nennt man diese kleinen Modellpflegen „Modelljahr“. Meine Ablagebox könnte somit von 1989 in das „Modelljahr 1990“ befördert worden sein.

Einmal auseinandergeklappt läßt sich natürlich auch alles nochmal bestens reinigen. Bei den in meinem Wagen verbauten grauen Kunststoffteilen nutze ich dazu jede Gelegenheit, denn es läßt sich grundsätzlich immer noch ein Nikotinbelag finden und entfernen, auch nach 6 Jahren Nichtraucherzone. Das Ergebnis zusammen mit dem nagelneuen Wurzelnuß-Rollo spricht für sich.

Es ist nur ein Detail, aber es gibt dem stolzen Bastler ein wunderbares Gefühl, wenn wieder etwas besser funktioniert oder schöner aussieht als zuvor. Der Wagen ist wieder ein bißchen jünger geworden und die ewig schwankende Bilanz aus Alterung vs. Restauration vorerst wieder ausgeglichen – zumindest im Innenraum:

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Rollobox__035So geht ein schöner Schraubersamstag zu Ende und man hat das Gefühl, eine Unmenge erledigt zu haben. Ich merke immer wieder, daß mir die Bastelei auch mit meinen beiden linken Händen viel Spaß macht. Nach einer langen Woche vor dem Rechner ist der Männertag in der Garage eine schöne Abwechslung.

Und weil man sich dann auch den einen oder anderen Hopfenblütentee redlich verdient hat, die Kühlung desselben in meinem Hangar aber stets einen Kraftakt darstellte, mußte ewas unternommen werden. Bislang mußten wir immer vorher Crushed Ice im Supermarkt kaufen, die Flaschen darin betten und warten. Das ist nervig und auf Dauer wahrscheinlich genauso teuer, wie sich gleich einen Kühlschrank hinzustellen. Bei Saturn entdeckte ich dann diesen hier rechts für faire 160 Euronen.

Wieder ein exklusives Ausstattungsdetail im Innenraum neu – diesmal eines meiner Herrengarage :-) Prost!

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