Classic Days Schloss Dyck: ein Wochenende mit den schnellsten und den wertvollsten S-Klassen der Welt

Wenn die Klassikabteilung von Mercedes-Benz ihre Chromjuwelen aus den heiligen Hallen holt, kenne auch ich (Johannes „Fünfkommasechs“ Schlörb) keinen Schmerz und fahre tapfer die weitesten Strecken, selbst wenn das Traggelenk am 560er vorne links mit original 264.000 Kilometern unter der Gummimanschette schon bedenklich knarzt. Dieser Sommer läßt einfach keine Werkstattaufenthalte zu, weil sich ein phantastisches Ereignis an das nächste reiht. Kombiniert mit einer „ganz normalen“ 70-Stunden-Woche bleibt da wenig Zeit für Instandsetzungen. Man ist ja schließlich auch selbsternannter Baureihenbotschafter, und das schon fast im Hauptberuf! Vorfahren im V126 ist da einfach Pflicht, auch wenn’s knarzt.

Das Jahr 2013 steht nämlich ganz unter dem Motto „S-Klasse“. Neulich erst das wunderbare „Cars & Coffee“ am Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart (der Kollege berichtete), diesmal das mondäne „deutsche Goodwood“ bei Neuss: die Schloss Dyck Classic Days!

Vorkriegs-„S-Klassiker“ zu Ehren der Karosseriemanufaktur Erdmann & Rossi im Park vor Schloß Dyck

Wie mir Kollege Marc „Dreikommanull“ Christiansen außerdem versicherte, hat bauartbedingt selbst ein Abriss des Traggelenks beim 126er nicht sooo verheerende Folgen wie etwa beim W124. Na dann…! Mit schweißnasser Stirn und beiden Händen fest am Lenkrad (außer beim fahrlässigen Fotografieren) ging es in einigermaßen schonender Fahrweise über Köln nach Jüchen, wo wir schon erwartet wurden: das Knarzen meines 560ers hatte uns eine Viertelstunde vorher angekündigt.

Lange Anreise im V126 – trotz maroder Vorderachse

Ein metallischer Schrei der Eifersucht, denn mein Star des Wochenendes war ausnahmsweise nicht der knarzende Blauwal, sondern ein anderer, sehr besonderer 560er. Und der hatte wenig Grund zum Knarzen, ist er doch quasi fabrikneu. Gemeint ist der Bandabläufer: die letzte je gebaute Limousine der Baureihe 126!

Der letzte je gebaute 560 SEL

Kollege Dreikommanull hatte ihn unter anderem [HIER] schon ausführlich vorgestellt, nun aber konnten wir das Fahrzeug endlich in natura erleben. Und zwar am Mercedes-Benz Kundencenter-Stand auf der „Pflaumenwiese“ vor Schloß Dyck, wo er neben einem ebenso neuwertigen 450 SEL 6.9 in der gleißenden Sommersonne stand. Wir hatten noch einiges vor mit „dem letzten seiner Art“ an diesem Wochenende.

Und wir erwarteten hohen Besuch: niemand geringeres als der Chefingenieur der S-Klasse BR 222, Dr. Hermann-Joseph Storp, hatte sich für den Abend mit uns verabredet. Was also lag näher als ihn mit dem letzten je gebauten 126er bekannt zu machen? Wir waren sehr gespannt, was er über „unsere“ S-Klasse sagen würde.

V222 (S 350 CDI) im Schloßhof

Zunächst geht es aber hoch ins Schloß zur Mercedes-Benz Hospitality, wo die Niederlassung Rhein-Ruhr für die Gäste einen V222 im Innenhof versteckt hatte. Auch zwei Wochen nach Händlerpremiere noch ein zuverlässiger Publikumsmagnet, selbst hier in einem reinen Klassik-Umfeld. Und da die neue S-Klasse durch die hohe Zahl an Vorbestellungen eine durchaus beeindruckende Lieferzeit hat, sind Vorführwagen wie dieser wohl rar gesät.
Von der Schlossterrasse aus hat man als Gast von Mercedes-Benz einen herrlichen Rundumblick in den weitläufigen Park. Die zu riesigen Parkplätzen umfunktionierten Getreidefelder draußen waren schon früh recht voll und ließen nichts gutes vermuten, trotzdem veteilen sich die Menschenmassen hier auf dem Gelände recht gut. Die Ordner tun das ihrige, um die Besucherströme an den wenigen Nadelöhren vor Verstopfungen zu bewahren.

Für jeden Fotografen sind solche Veranstaltungen trotzdem eine Geduldsprobe, wenn man denn die vielen Chromjuwelen im Park möglichst ohne störende Schaulustige ins Bild zu setzen versucht. Da hilft nur Warten auf den richtigen Moment, zumal wenn man gern im Telebereich fotografiert und eine lange freie Bahn dafür braucht. Hier einige Impressionen:

Renn-Ponton im Mercedes-Benz Paddock

Neben den sehr s-klassigen „Jewels in the Park“ mit einer Fahrzeugauswahl zu Ehren des 115. Bestehens der Erdmann & Rossi Karosseriemanufaktur war das Mercedes-Benz-Classic Paddock der Publikumsmagnet schlechthin. Auch hier dominierte die „S-Klasse“ das Fahrzeug-Dreigestirn, selbst wenn der W180, der W112 und der W109  noch nicht offiziell so hießen.

AMG hatte den Nachbau der legendären „Roten Sau“ aus 1971 ins Schaurennen geschickt. Das Mercedes-Benz Museum komplettierte die geballte Racing Power mit einem „Großen Ponton“ aus 1954 und einem 300 SE „Große Heckflosse“ aus 1963. Der tönte übrigens nicht schlecht! So ein Reihensechser macht ordentlich was her, selbst im direkten Vergleich mit der V8-Gewalt der „Roten Sau“.

Die „Rote Sau“ mit Dieter Glemser am Volant und dahinter die „Rennflosse“ von Ewy Rosqvist

Neben denen aus Blech gab es natürlich auch lebende Legenden zu sehen und zu hören. Wie schon im letzten Jahr waren Hans Hermann und der „schnellste Rosenzüchter der Welt“, Dieter Glemser, zu Gast. Außerdem „mein Ex-Chauffeur“ Jochen Mass und eine ganz besondere Grand-Prix-Legende: Ewy Rosqvist, die als eine der ganz wenigen Frauen am Steuer eines Rallye-Fahrzeugs 1962 den Großen Straßenpreis von Argentinien gewonnen hatte. Sie feierte obendrein ihren Geburtstag auf Schloß Dyck!

Ewy Baronin von Korff-Rosqvist am Steuer ihrer „Rennflosse“

Wer Ewy Baronin von Korff-Rosqvist, so ihr voller Name, während der Schauläufe in „ihrer“ Heckflosse erlebt hat, würde sie sowieso Jahrzehnte jünger schätzen. Erst recht, wenn man sie flott aussteigen und zum nächsten Autogrammjäger eilen sieht. Kaum zu glauben: die große Dame aus Schweden ist seit Samstag 84 Jahre alt – und hat versprochen, im nächsten Jahr wieder mit dabei zu sein.

Nachwuchs-Rennfahrer Dieter Glemser (75) gehört indes zur festen Equipe von Mercedes-Benz Classic und bat den noch jüngeren Herrn Dreikommanull zum Einsteigen in das mit Abstand jüngste Fahrzeug des Paddock, den roten 300 SEL 6.3 bzw. 6.8 AMG-Nachbau.

Lassen wir Marc nun am besten selbst berichten:

Dreikommanull im Sechskommaacht

Für mich war eines der Highlights an dem Wochenende die bevorstehende Begegnung mit der „Roten Sau„. Jenem Monsterauto der Baureihe 109, das Hans Heyer u.a. im belgischen Spa-Francorchamps im Jahre 1971 nach 24 Stunden hartem Renneinsatz auf einen soliden zweiten Platz ins Ziel brachte, hinter meinem Chauffeur Dieter Glemser, der damals auf Werks-Capri die Ford Werke aus Köln mit einem Sieg beehrte.

Hier erkennt man sehr schön die kleine Hella-Leuchte, die die Startnummer nachts beleuchten soll

Es ist definitiv beeindruckend vor soviel Geschichte zu stehen und dies obwohl es sich ja hier um einen Retortenklassiker handelt. In Wahrheit gab es zweimal die „Rote Sau“ – einmal eben in rot und einmal in gelb, welcher später weiß lackiert wurde. Letzterer Wagen ist verschollen, vor Jahren angeblich mal in der Schweiz zum Verkauf annociert, aber nie wieder wirklich ans Tageslicht gelangt – Ersterer wurde nach Frankreich an die Firma MATRA veräussert und dort um gut 1-1,5 Meter im Fondbereich verlängert und mit zwei Löchern im Bodenblech versehen. Mit diesem Gefährt wurden damals Flugzeugreifen entwickelt und getestet. U.a. sollen auch die CONCORDE-Reifen damit untersucht worden sein. Leider schon seit Jahrzehnten recycelt!

Wie ist das in der Roten Sau? Es ist heiss, eng und doch sehr kommod, wie man es eben von einem Mercedes kennt – also das geborgene Gefühl.
Man merkt natürlich das es sich um eine Replika handelt, denn alles ist nagelneu und restauriert – hätte man seinerzeit schon so sehr an Oldtimer gedacht wie in der heutigen Zeit, AMG wäre sicherlich sehr froh dieses besondere Fahrzeug noch im Original zu besitzen – andererseits ist das mit den Concorde-Reifen aber auch so ein Punkt den kein anderer Fahrzeughersteller, bzw. kein anderes Fahrzeug für sich reklamieren kann – nur die Rote Sau!

Das Original hatte ca. 430 PS, verstärkte Motorlager, optimierte Einspritzanlage, Zündzeitpunkt und diverse andere kleinere Änderungen nach Art des klassischen Frisierens (Tuning). Zudem besaß der Wagen keine Luftfederung mehr – obwohl serienmässig. Man versah das Fahrzeug mit einer Stahlfederung und definierter Tieferlegung, anderenfalls hätte die schwere Limousine keine Chance gegen teilweise wieselflinke Sportwagen gehabt. Gerade aus einem solchen Grund kann man doch froh sein, dass sich AMG heutzutage der S-Klasse annimmt und so eine „Rote Sau“ für praktisch jedermann anbietet, in Form des S63.

Leider kann man die Eindrücke gar nicht wirklich in Worte fassen und die Mitfahrt beschränkte sich auch auf ca. 5 min (gefühlt), nach der halben Einführungsrunde erschien bei der Durchfahrt gleich das Schild „Final Lap“ und so konnte man sich nicht wirklich mit dem Fahrzeug beschäftigen – was als Beifahrer ja ohnehin ein wenig schwieriger ist.
Warum das „Rennen“ so kurz ausgelegt war? Das werden nur die Verantwortlichen im Planungsstab von Schloß Dyck beantworten können. Spaß gemacht hat es trotzdem.

Wir werden noch ein kleines Video mit Kurzinterview des zuständigen Mechanikers zur Roten Sau bringen – Ehre wem Ehre gebührt, ein solches Fahrzeug bedarf einer besonderen Berichterstattung!

Genau wie auch der Bandabgänger, der anthrazitgraue 560SEL – aus diesem Grund werde ich hierfür einen eigenen kleinen Artikel erstellen und mit den tollen Fotos des all-seeing-eye des Herrn Kollegen Fünfkommasechs garnieren. Nur kurz vornweg: ein wahrlich beeindruckender Wagen dieser letzte jemals gebaute W126. Seid gespannt!

Kommende Woche mehr zu WDB 126039 1A 605721.

Vom wertvollsten 126er zur beinahe sparsamsten Ausstattung überhaupt

Es war schon fast dunkel, als wir am Samstagabend durch Zufall noch auf einen anderen, äußerst raren 126er aufmerksam wurden. Ein echter Nullausstatter, wie er sparsamer kaum sein könnte. Man beachte die Mittelkonsole:

S-Klasse mit Stoffsitzen und ohne elektrische Helferlein jedweder Art: keine Fensterheber, kein elektrischer Außenspiegel, kein Reiserechner, keine Zentralverriegelung, kein Soundsystem, keine Standheizung und natürlich nur das kleine BECKER „Europa“ Radio. Aber immerhin Automatikgetriebe ;-)

Die komplette Fotogalerie von unserem Wochenende auf Schloß Dyck findet Ihr hier: [KLICK]

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