Seit dem vergangenen Wochenende ist mein persönliches Stuttgart 21 kurz vor seiner Vollendung. Wer jetzt nur Bahnhof versteht, dem sei erklärt: es geht natürlich um meinen 21jährigen Stuttgarter Sternenkreuzer!
Der hat nun Quartier bezogen im neuen Terminal – und hoffentlich nicht gleich von Kolbenfresser oder Steuerkettenriss geträumt. Denn was man in der ersten Nacht an neuen Orten träumt, geht ja bekanntlich in Erfüllung.
Wahrscheinlicher aus kraftfahrzeugpsychologischer Sicht ist, daß er sich in einem Museum wähnt und in bester Gesellschaft aufgehoben fühlt, blickt er doch an der Wand vor sich auf Schautafeln seiner halben Artgenossenschaft, die man als Poster im MB-Museumsshop erwerben kann. Und die Immobilie selbst? Die ist wahrlich ein Kleinod, wenn auch nicht gerade billig. Eigentlich ja nur eine Doppelgarage, aber zum dreifachen Preis meiner alten Einzelbox, und vor dem Bezug war noch eine Menge Arbeit nötig. Vieles fehlt noch immer, darunter so existenzielle Dinge wie Mikrowelle und Getränkekühlfach, Beistelltisch und Zeitschriftenhalter. Kommt alles noch!
Groß und hell, zentral gelegen, durch hohe Mauern und kahle Fassaden ringsum windgeschützt, dahinter Migrationshintergrund, Einkaufsmeile in Bierdosen-Wurfweite, trotzdem äußerst ruhig weil abgeschottet, und sie bietet sogar einen kleinen Dachboden für Ersatzteile: die neue Doppelgaragen-Wohnung meines Stuttgarter Senioren könnte annehmlicher kaum sein. Und nun mausert sie sich langsam auch zum kleinen Schrauberidyll mit Lounge-Charakter.
Wer manche Einträge oder vielmehr die Stille der letzten Monate hier verfolgt hat und mein Lamento über Zeitmangel gar persönlich ertragen mußte, mag nur noch mit den Augen rollen. Hat der Bub nicht neulich erst noch auf die Pauke gehauen, daß er seinen Altmercedes einschließlich Website in gute Hände abgeben möchte? Nun kriegt sein Fünfsechziger schicke Reifenschuhe von Stanley, steht auf einer 400 Euro teuren Bodenbeschichtung in RAL 9010, darauf in der einen Ecke Ledersitztruhen vom Designermöbel-Outlet, Familienfotos aus Bad Cannstadt an der Wand, Fußabtreter und Fleece-Decke in Wagenfarbe für Besucher, und alles zusammen wird eines Tages wohl die denkbar nobelste Altersresidenz, die man sich als pensionierter Stuttgarter Vorstandswagen im tiefsten Hessen überhaupt erträumen kann.
Ja, geht’s dann also wieder? Und ob! Es wird sogar noch schlimmer…
Der Zufall wollte es nämlich, daß mir vor ein paar Monaten – just am Tiefpunkt meiner Freizeitmangelstimmung – beinahe ein kompakter Drittwagen zugelaufen wäre. Mein Job bringt es mit sich, daß man entweder Zeit oder Geld übrig hat – nie jedoch beides zusammen. In jener Zeit war es vor allem letzteres. Einer vierstelligen Summe zur freien Disposition standen gegenüber wie aus dem Nichts: Vierkommafünf-Liter-V8, brauner Lack, braunes Interieur, Cabrio, extrem seltenes Modell, eines der ersten Exemplare seiner Baureihe, alles Original und ungschweißt, echter Oldtimer mit H-Kennzeichen aus Liebhaberhand, Notverkauf wegen familiärer Querelen – und dazu Fotos wie dieses:
Für mich war vor der Besichtigung schon klar, daß ich dieses Auto dringend brauche. Mindestens zum Wegstellen und Anschauen, und mit realistischen Wiederverkaufsaussichten zum gleichen oder höheren Preis im Frühjahr. Nur wohin bis dahin mit dem kleinen, ungeschweißten aber patinierten US-Reimport?
Eine größere Unterstellmöglichkeit mußte her für die zukünftige Sternen-WG, und bei dieser Gelegenheit auch im Gegensatz zu meiner jetzigen Garage gleich was mit Stromanschluß und Licht. Die war auch bald in einem Ortsteil ausgemacht. Der Anbieter ein Landwirtschaftsbetrieb, das Objekt eine massiv gebaute, freistehende Scheune. Doch was manches Hobbyschraubers Traum sein mag, nämlich die große Zeughalle auf dem Lande, taugt dem naserümpfenden S-Klasse-Fahrer während der schmutzigen Jahreszeit allenfalls zur Demonstration einer der vielen Innovationen in und am Hundertsechsundzwanziger.
Die sagenhafte „Schmutzfreihaltung im Einstiegsbereich“ sorgt dafür, daß selbst der hartnäckigste Kuhmist dem feinen Zwirn des Mercedes-Fahrers fernbleibt, weil „Saccobrett“ um Türeinstiegsleiste greift und diese vor Schmutzeinwirkung schützt. Diese Attraktion alleine rechtfertigt aber nicht den Standort „Feldrand“ für den kleinen Fuhrpark, also ging die Suche weiter.
Der zum Verkauf stehende Mercedes-Benz SL-Roadster der Baureihe 107 mit seiner laufenden Produktionsnummer 90 und der Typenbezeichnung 350 SL 4,5 ist übrigens offenbar so selten, daß selbst ein hochrangiger Vertreter eines SL-Clubs bis neulich noch nie etwas davon gehört haben will. Das Team von Fünfkommasechs.de nebst Anhang und mir besuchten den Wagen für eine Besichtigung und stellten sofort fest: ehrliches Auto mit ehrlicher Patina, ehrlicher (und eindrucksvoll lückenloser) Historie von ehrlichem Verkäufer zu einem sehr ehrlichen Preis.
Doch nicht erst bei Sichtung dieses Handyfotos links wird mir bewußt, daß Yours Truly weder optisch noch finanziell einen guten Jonathan Hart abgeben würde. Eher noch schaff ich es zum „Max“-Double. Dieses Auto hat also wahrlich Schöneres verdient. Und so ist der Fiebertraum vom schicken SL-Roadster (vorerst) ausgeträumt, nicht aber die im Kern durchaus sinnvolle Suche nach einer neuen Behausung für die große S-Klasse.
Während unter dem Suchbegriff „Garage“ auf den einschlägigen Angebotsseiten über Wochen nur noch bereits Abgegrastes zu finden war, förderte die Suche nach „Lagerraum“ am Ende deutlich Interessanteres zutage. Und so kam es, daß ich auf einem Firmengelände eine nur nebensächlich als solche zur Miete angebotene Doppelgarage fand, und der freundliche Besitzer mir sogar extra weitere Stromanschlüsse inklusive eines Starkstromzugangs installierte.
Zum vollendeten Schrauberglück fehlt somit nur noch fließendes Wasser. Dieser kleine Mangel läßt sich aber durch Kanister und die unmittelbare Nähe einer Tankstelle mit Textilwaschanlage sowie eines nur wenige hundert Meter weiter entfernten SB-Waschplatzes verschmerzen. Ein Einkaufszentrum mit Lebensmittel- und Elektronikmarkt gibt es obendrein noch quasi direkt mit auf dem Grundstück, ebenso ein Parkhaus, das gleichzeitig auch einen interessanten Fotostandpunkt bietet. Schon die ersten von dort aus geschossenen Bilder landen in der nächsten „Youngtimer“, aber das ist eine andere Geschichte…
Es darf also gratuliert werden! Und vielleicht gibt der sehr nette und hilfsbereite Vermieter eines Tages seine Erlaubnis, in kleinem Kreise eine Saisoneröffnung zu begrillen. Im Moment muß er aber sicher noch die doch recht individualisierte Ausgestaltung seiner Immobilie verdauen.